Warum spiele ich keine Musicals mehr?

Natürlich sollte man niemals „nie“ sagen, aber nach so einer langen Zeit in dunklen Orchestergräben oder auf Theaterbühnen – mit teilweise absurden Kostümen (z.B. stinkende Kartoffelsäcke bei „Nunsense“ oder abgerissenen Piratenklamotten mit schwarzer Schuhcreme im Gesicht bei „Pirates of Pensence“) – muss es auch mal gut sein.

Ich blicke mit Dankbarkeit zurück, hatte eine gute Zeit, habe viel gelernt, viel an Professionalismus und Routine gewonnen, bin notenfest,  Dirigat-erprobt und stilsicher geworden und habe nicht zuletzt auch einen Großteil meines Lebensunterhaltes mit Musicals verdient. Somit gibt es keinen Grund zur Klage oder nachträglicher Häme. Ich habe viel Glück gehabt, professionelle Produktionen spielen können und sehr viele nette und erstklassige Kollegen kennen gelernt und so viel gelacht, dass ich gerne an die Zeit zurück denke.

Wenngleich ich mich eigentlich stets durch die Musik einer bestimmten Show – sei es Rock, Pop, Swing, Orchester oder was auch immer – motivieren konnte, habe ich feststellen müssen, dass ich zwar ein professioneller Schlagzeug-Dienstleister mit dem Bestreben die geringst mögliche Fehler- und höchste Groove-Quote zu erreichen geworden bin, aber in meiner Entwicklung musikalisch eher stagnierte.

Meine Perspektive ist nach vorne gerichtet und es gibt vieles, was ich noch realisieren und umsetzen möchte. Es war für mich von Beginn meiner Musicaltätigkeit an klar, dass ich nicht noch im fortgeschrittenen Alter die 1000. Inszenierung von „Rocky Horror Picture Show“ in irgendeinem Theater dieser Region spielen werde und bin somit dankbar, den Absprung geschafft zu haben.

Zugegebenermaßen wurde der Absprung begünstigt von einer Personalpolitik vorzugsweise der großen Musicalbetriebe, die kaum die Leistung des einzelnen Theatermitarbeiters würdigt. Personalabbau und die Absicht die Anzahl der Orchestermusiker möglichst klein halten – dabei kostengünstige Produktionen am liebsten mit Playbacks oder zumindest Mini-Orchester-Besetzungen zu spielen – wenn möglich sogar auf der Bühne in Kostümen (sieht halt nach mehr aus) und ohne Sub-Option – all das stand in den letzten Jahren deutlich im Vordergrund. Offen gestanden hat mich auch sehr der Pseudo-Anspruch an musikalische Details und Kinkerlitzchen von vermeintlich wichtigen Menschen gestört, die natürlich ihre Daseinsberechtigung aus sich selbst generieren. Es werden Dinge mitunter dramatisiert, die im Gesamtbild einer Vorstellung komplett uninteressant sind („die Hi Hat muss auf „4d“ mehr popflavour haben“) – hört man dann das Endergebnis einer großen Show bleiben jedoch oft Fragen offen; um es mal vorsichtig auszudrücken.

Es ist im Grunde sehr traurig und meines Erachtens nach unklug das Publikum für horrende Eintrittspreise in die Theater zu locken und auf der anderen Seite eine Preis- und Lohnpolitik der Mitarbeiter zu betreiben, die der Arbeitsleistung und dem Einsatz der einzelnen Mitarbeiter nicht entspricht. Dies mag noch eine Weile bei vereinzelten Produktionen gut gehen, ist aber auf Dauer nicht tragbar.

Es gibt jedoch auch Häuser und Produktionsstätten an die ich gerne zurückdenke und sicher auch gegebenenfalls wieder zurückkehren würde, da Musiker mit Respekt und angemessener Wertschätzung behandelt wurden.

Für gute und gelungene Inszenierungen und gut gespielte Musik empfehle ich daher in jedem Fall auch einen Besuch in der Oper oder in Stadttheatern! Hier wird oft eine hohe Qualität auch für Kinder und Jugendliche geboten und – bedingt durch die Subventionen – ein moderater Eintrittspreis verlangt. Aber auch hier wird gespart was das Zeug hält; es werden Etats gestrichen, es müssen Theater fusioniert werden und man überprüft  städtische Theater auf ihre Wirtschaftlichkeit; ein sicherlich nicht grundfalscher Gedanke – auch hier sollte kein Geld aus dem Fenster geworfen werden. Theater haben jedoch einen anderen kulturellen Auftrag als ein großes Warenhaus – sollte doch hier der Bildungsauftrag und die Erhaltung kulturellen Schaffens im Mittelpunkt stehen. Es wird vor allem dann absurd, wenn man sich beispielsweise ansieht, dass die Sanierung eines Landtages für 4,5 Millionen Euro durchgewunken wird oder der Flughafen Berlin für mal eben von 2,4 auf 4,5 Milliarden Euros hochschnellt. Ein Theater kann jedoch ohne seinen Förderverein nicht bestehen. Ich finde diesen Zustand unmoralisch.

Daher danke ich für eine schöne Zeit, drücke allen Kollegen und Freunden der Theaterbetriebe die Daumen und widme mich nun meinen neuen Projekten und Zielen!